Adolf Hitler und das Selbstbestimmungsrecht der VölkerAdolf Hitler and the Peoples′ Right to Self-Determination

Fisch, Jörg

In: Historische Zeitschrift, 2010, vol. 290, no. 1, p. 93-118

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    Summary
    In Hitlers expansiver, auf Gewinn von Lebensraum und ethnische Homogenität ausgerichteter außenpolitischen Konzeption war kein Platz für ein Selbstbestimmungsrecht der Völker. Gerade seine Verachtung des Selbstbestimmungsrechts ermöglichte es ihm, es als das zu erkennen und zu nutzen, was es immer war (und ist): ein Mittel zum Zweck, mit dessen Hilfe der Unterlegene den Überlegenen schwächen kann. Der erste, der es erfolgreich einzusetzen verstand, war Lenin. Er forderte es nach der Oktoberrevolution nicht nur für die russischen Randvölker, sondern für alle Völker der Welt. Sein propagandistischer Erfolg war so groß, daß Wilson, der ursprünglich eine außenpolitisch viel harmlosere Konzeption von Selbstbestimmung als demokratischer Selbstregierung, nicht als sezessionistischer Unabhängigkeit gehabt hatte, seine Auffassung übernahm. Damit machte er das Selbstbestimmungsrecht zu einem Instrument der Sieger, und es schlug zu deren Ungunsten aus. Denn es machte den Volkswillen zum einschränkenden Kriterium für ihre territorialen Forderungen. Sie waren nicht bereit, sich in vollem Umfang daran zu halten, etwa in der Frage eines Plebiszits über den Anschluß Österreichs. Hitler verstand es meisterhaft, diese Schwächen auszunutzen. Er konnte sich 1935 im Saarplebiszit und 1938 beim Anschluß Österreichs und der Sudetengebiete jeweils auf das Selbstbestimmungsrecht berufen, während seine Gegner nur auf ihr Siegerrecht hinweisen konnten - ein Recht, das seine Legitimität zunehmend verlor. Die Folge war, daß die Sieger des Zweiten Weltkrieges die Nachkriegsordnung ohne jeden Hinweis auf ein Selbstbestimmungsrecht, ja unter dessen klarer Mißachtung aufbauten. Ein Comeback erlebte das Recht erst in der Entkolonialisierung